Ich sitze auf meinem Lieblingsrad und fahre durch die Stadt. Es ist ein milder Tag und auch die Sonne lässt sich wieder blicken. In den Gassen sind viele Menschen unterwegs und ich genieße die angenehme, lebendige Atmosphäre. Aus der Ferne höre ich auf einmal Musik und fahre immer näher an sie heran. Fünf Musiker und Musikerinnen stehen auf dem Gehsteig einer Gasse und machen eine Musik, die zu Herzen geht. Es klingt nach ferneren Orten. Orte, die eigentlich gar nicht so fern wären, aber durch die derzeitigen Reisebeschränkungen soviel ferner erscheinen. Die Musik ist wohltuend. Die Menschen ringsum scheinen erfreut. Sogar ein Kellner bleibt in seinem Außenbereich zwischen den Tischen stehen und hört zu. Ich radel weiter. Es erscheint mir wie ein Ansingen gegen all diese verwirrenden, teils beklemmenden Umstände in dieser Zeit. Eine Wohltat.

Am Stadtpark halte ich an und hole mir einen Kaffee bei einem dieser Fahrräder, die eine Kaffeemaschine auf sich tragen oder vielleicht ist es auch eine Kaffeemaschine, die ein Fahrrad unter sich trägt? Auf mein Hochdeutsch angesprochen, fangen der Verkäufer und ich zu plaudern an. Darüber, dass ich meine Eltern seit über einem Jahr nicht mehr gesehen habe. Darüber, dass der Verkäufer die Ruhe am Kaffeestand genießt, da all die gelben Touristenbusse nun wegfielen und damit der regelmäßige Ansturm auf seinen Verkaufsstand. Darüber dass so ein schöner Herbsttag ist. Und über den Mund-Nasen-Schutz sprechen wir natürlich auch. Da kommt die nächste Kundschaft und ich ziehe weiter, setze mich auf eine Parkbank. An diesem Nachmittag ist die Welt in Ordnung. Es IST ein schöner Tag.

Am späteren Abend informiere ich mich über die bevorstehende, neue Verordnung und dann über die Lage in Europa- und schließlich auch über die Lage in der Welt. Und meine Stimmung rutscht in den tiefsten Keller. Nix da mit „alles in Ordnung“. Nix da mit „schöner Tag“. Furchtbar diese Nachrichten, diese Aussichten, diese Ungewissheit. Ich schlafe unruhig.

Gut, denke ich, zum wiederholten Mal, am nächsten Morgen: lies auf keinen Fall Nachrichten vor dem Schlafengehen! Da erinnere ich mich an den Philosophen Konrad Paul Liessmann, der vor kurzem in einem Radiogespräch betont hat, wie wichtig es wäre, gerade in dieser Zeit ganz aktiv gegen die derzeitige Stimmung anzuarbeiten. Ich sage es in meinen Worten: gegen das Dunkle, Schwere. Gegen den Tunnelblick. Gegen das Zermürbende von Neuinfektions-Zahlen. Gegen die Panikmache. In einem Wort: gegen die Schwermut. Alles da, ganz von allein. Wir sind derzeit umgeben davon. Um so mehr braucht es ein klares Gegengewicht, um nicht unterzugehen in all den düsteren Vorahnungen und Mahnungen.

Am nächsten Tag setze ich mich nach einem langen Arbeitstag, an dem ich nahezu durchgehend den Mund- und Nasenschutz tragen muss, vor meine Lieblingsbäckerei an die Straße. Ich atme tief durch. Ich genieße meinen Kaffee und Kuchen. Ich lese keine Zeitung. Ich schaue den Autos und den Menschen zu, die da auf ihren Wegen sind. Es wird gelacht und geplaudert.

Ich freue mich.

 

Foto: Arno Senoner auf Unsplash