Ich arbeite als Musiktherapeutin seit ein paar Jahren im Pflegewohnhaus. Ich mag meine Arbeit dort sehr gerne. Oft ist sie ruhig – im Vergleich zur psychiatrischen Akutstation, auf der ich meine längste Arbeitszeit verbracht habe. Nie ist sie langweilig – wie ich es früher oft dachte. In meinem derzeitigen Pflegewohnhaus gibt es zudem verschiedene Schwerpunkte, was große Abwechslung in meine Arbeit bringt. Ich arbeite mit Wachkomapatient*innen und mit jüngeren Menschen, die aus sonstigen Sozialsystemen herausgefallen sind und bei uns nur als Durchgangsstation sein sollten. Und dann natürlich mit älteren Menschen, die zuhause nicht mehr selbstständig leben können. Zudem gibt es bei uns auch zwei Demenzstationen, die in meiner Arbeit besondere Aufmerksamkeit und große Flexibilität brauchen, da hier oftmals keine Orientierung bezüglich Zeit, Ort und / oder der eigenen Person gegeben sein kann. Das sorgt für allgemeine Verwirrung. Hilfreich ist da auf jeden Fall eine große Portion Humor!

Ich erinnere mich gerne an eine Begebenheit im vorherigen Pflegewohnhaus zurück, bei der ich auf der Demenzstation arbeitend durch den Gang schritt und mein geschäftiger Blick auf einen Mann fiel. Dieser saß in seinem Rollstuhl und trank genüßlich aus einer sehr hübschen, kupferfarbenen Wasserflasche. Vertraut war der Anblick, bis mir auffiel warum: Das war ja meine Flasche! Er hatte sich diese von meinem Musikinstrumentenwagen genommen, der unbewacht an der Wand stand, während ich mich kurz in einem Patientinnenzimmer aufhielt. Nicht nur das, er hatte auch seinen Durst gestillt und war noch mittendrin. Schnell machte ich einen großen Schritt auf den Mann zu: „He, das ist ja meine Flasche.“ „Nein“, entgegnete dieser, „das ist meine Flasche!“ und presste sie fest an seinen Körper. Ich war kurz verwirrt – „Doch nicht? Hatte ich mich geirrt?“, aber auf meinem Wagen fehlte die Flasche und so entgegnete ich nochmals: „Nein, das ist meine Flasche!“. Da sprang auch schon ein Pfleger herbei und nahm dem Mann entschieden die Wasserflasche ab und reichte sie mir. Wir mussten beide lachen, auch der Mann schien sich zu freuen.

Ebenso habe ich Freude an folgendem Dialog, der sich vor kurzem mit einem Mann auf einer geschützten Demenzstation an meinem jetzigen Arbeitsplatz entspann. Auf der Demenzstation sind die Bewohner*innen in einem geschützten Bereich, so dass sie nicht einfach auf eigene Faust losziehen und das Haus verlassen können. Häufig kommen in der Musiktherapie bei diesem Mann, nennen wir ihn mal Herrn Broders, die Vorschläge, wie wir die Einheit gestalten, von mir. Herr Broders fühlt sich oft unter Druck, auszudrücken, worauf er gerade Lust hat. So überraschte mich der Beginn dieser Musiktherapieeinheit.

Herr Broders: „Ich würde gerne ein Lied hören.“

Ich (engagiert) : „Oh ja, welches denn?“

Herr Broders: „Hawelka.“

Ich: „Wie – über das Café Hawelka?“

Herr Broders: „Ja, ich war da nämlich gestern.“

Ich (ungläubig) : „Waaas, Sie waren gestern im Café Hawelka?“

Ich überlege für mich: Vielleicht hatte er Besuch bekommen und dieser nahm ihn mit? Oder ein- sehr selten möglicher – Ausflug von der Station hatte stattgefunden? Ich zweifelte.

Ich: „Wie sind Sie denn dort hingekommen?“

Herr Broders: „Zu Fuß!“

Ich: „Zu Fuuuuß?“

Sieben Kilometer sind es von hier bis zum Café Hawelka in der Innenstadt und der Herr sitzt zudem im Rollstuhl.

Herr Broders: „Ja.“

Ich (ernst und bestimmt) : „Aber das kann doch gar nicht sein, Herr Hawelka!“

Pause

Ich : „Äääh, Herr Broders!“

Wir halten beide inne und beginnen dann laut und lange zu lachen.

Das gemeinsame Lachen war der Schwerpunkt dieser musiktherapeutischen Einheit. Ob der Kaffehausbesuch stattgefunden hat, war irrelevant. Wir haben uns über dieses in Wien sehr renommierte Kaffeehaus unterhalten und gemeinsam zurückerinnert. Später habe ich recherchiert -. das Lied, das Herr Broders sich gewünscht hat, war „Jö schau“ von Georg Danzer mit der Liedzeile „Was macht a Nackerter im Hawelka“. Wir hörten es uns in der folgenden Stunde mit großer Freude an und denken manchmal belustigt zurück an mein „Aber das kann doch gar nicht sein, Herr Hawelka!“.

 

Foto: Gabrielle Henderson on Unsplash