Ich bin sehr gut im Schöndenken. Schon viele Jahrzehnte der Meisterschaft liegen hinter mir. Und ich mag es. Es macht Spaß, häufig gute Laune und hat etwas sehr Kreatives. Inzwischen empfinde ich es als eine große Kunst, in den absurdesten Situationen noch etwas ins Gute, Schöne, Erfrischende umzudeuten. Eine große Kunst, die aber wahrlich große Tücken mit sich bringt.

Ich esse im Sommer zur Mittagszeit ein wunderbar frisches Brötchen mit Krabben. So ein richtig norddeutsches Krabbenbrötchen, hier in Wien. Ich sitze draußen vor dem Fischladen an einem Hochtisch auf dem Gehsteig. Neben mir steht ein umgedrehter, rotbrauner Blumentopf auf einer Untertasse. In einer kleinen Gehirnzelle am Rande meines Kopfes denkt es sich insgeheim: „Mmmmh, das ist hier wohl die Abenddekoration, irgendwo ein kleines Lämpchen drin versteckt wahrscheinlich.“ Der Fischladenbesitzer tritt aus dem Laden und kommt zu meinem Tisch. Er greift zum umgedrehten, rotbraunen Blumentopf samt Untertasse und sagt: „Das stelle ich Dir mal zur Seite. Das ist ja nicht so schön.“ Nicht so schön?, denke ich. Ich zögere. Da fährt er fort:“Oder rauchst Du?“

Mensch, das ist ein Aschenbecher! Und da geht es mir durch den Kopf:“Ich bin eine Schöndenkerin!“ Sogar aus einem Aschenbecher erschaffe ich mir ein heimeliges Sommerabendlicht. Warum nicht manchmal die Dinge ganz ungeschönt betrachten? Warum nicht mal einen genaueren Blick darauf werfen und eine Prise mehr Rationalität und Sachlichkeit zulassen?

Lieber von etwas Lieblichem, Schönem ausgehen, als gleich in der Finsternis über blutrünstige, mörderische Absichten zu brüten. Lieber in der anstrengendsten Situation noch ein gutes Haar suchen, als an ihr zu zerschellen. Lieber die Rose im Dreck, als das Sumpfloch in der Tasche, Oder so ähnlich. Erlebnisse, Beobachtungen, Begegnungen in etwas Positives umzudeuten, ja schön zu denken, ist eine eher unbewusste Tendenz in mir. In diesem Sommermittagsmoment wird sie mir, in Begegnung mit dem ziemlich harmlosen Aschenbecher, auf belustigende Art und Weise, wieder einmal bewusst.

Schöndenkerin. Wie zu Beginn bereits angemerkt: das Schöndenken hat auch große Tücken! Es kann Realitäten und Tatsachen verschleiern, ausblenden, verleugnen. Nicht immer sind die Dinge im Leben so lieblich und schön. Zum Glück, muss ich sagen. Das wäre vermutlich nicht auszuhalten. Und wenn die Dinge nicht schön sind, also die Gefühle, Gedanken, die Erfahrungen, die Begegnungen, die Beziehungen, die Reisen, die Kleidung, das Essen – dann braucht es Realitätsnähe. Sehen, was ist. Dann geht es um Tatsachen. Dann geht es um Klartext denken, und reden. Wirklich sehen, was ist. Benennen, was ist. Ja, das heißt, ein großes Scheinwerferlicht darauf richten und gegebenenfalls das Megaphon herausholen, wenn die Gefahr besteht, vom Gegenüber nicht gehört zu werden oder wenn auch andere auf das Nicht-Schöne hingewiesen werden sollen.

Es ist nicht angenehm. Es ist nicht beruhigend. Es ist nicht wunderbar. Es ist nicht leicht. Es ist nicht gut. Es ist nicht vertrauenserweckend. Es ist nicht schön. Es ist nicht schmackhaft.

Es ist schmerzhaft. Es ist erschreckend. Es ist furchtbar. Es ist hart. Es ist schlecht. Es ist bedrohlich. Es ist hässlich. Es ist ekelhaft.

All die vermeintlich positive Denkerei, die übrigens sehr wenig mit der Positiven Psychologie zu tun hat, gräbt uns Menschen und unserer Gesellschaft eine ziemlich tiefe Grube. Ziemlich tief. Eine Grube aus dickem, schwerem, klebrigem Morast. Aus dem es gar nicht so leicht ist wieder hinaus zu kommen. Denn manchmal sind die Dinge im Leben, einfach nicht gut und nicht schön. Punkt. Da gibt es im ersten Schritt nichts weg zu atmen, um zu denken, schön zu färben. Das Gerede von „Krise-als Chance“ und „Mit-Krebs-zum wahren Selbst“ ist komplett fehl am Platz. Wir müssen anerkennen, dass es im Leben Schicksalsschläge, Verletzungen, Krisen, Traumata und Krankheiten gibt. An erster Stelle ist diese Erfahrung furchtbar, hart und nicht wünschenswert. Die Gefühle, die Gedanken und Erlebnisse, die damit ins uns aufkommen, brauchen vor allen Dingen Zeit.

Zeit und Raum.

Und dann, aber auch wirklich dann erst, vermag sich dieses Erleben zu wandeln. In etwas Anderes, Neues. Mit sehr, sehr viel Zeit kann sich das Schreckliche, Hässliche, Schmerzhafte in etwas Zartes, Fruchtbares und ja – kaum zu fassen – in etwas Wünschenswertes verwandeln. Indem wir das Dunkle, Bedrohliche, Verletzende zu akzeptieren lernen, einen Teil von uns werden lassen, geschieht in seiner Zeit Wandlung. In uns kann allmählich wunderbar viel gedeihen, wachsen und sich in Richtungen entwickeln, von denen wir bisher nur zu träumen wagten.

Doch der Beginn, der Boden für diese Saat ist sperrig und wüst. Und erst mal nicht heimelig und voll von Licht. Nein, auch nach vielen Jahren nicht. Da bleibt eine Wunde. Zugleich steht an dieser Stelle aber auch eine atemberaubende, faszinierende, kraftvolle Pflanze, die aus unseren schmerzhaften Erfahrungen und bitteren Erlebnissen gewachsen ist.

Foto: Marlene Karpischek