…kommt es aus meinem Mund geschossen. Auf einem mehrtägigen Retreat mitten in einer Gruppe von feinfühligen, empathischen Menschen. Es ist eher eine Randbemerkung, die ich in der Gruppe mache. Und doch merke ich das kurze Innehalten, Erstaunen, Zögern in der Gruppe. Eine kurze gespannte Stille nach diesem Satz. Jaaa, so ist das für mich, denke ich in dem Moment. Ich mag, wenn etwas Liebgewonnenes für eine Zeit abwesend ist. Vor allen Dingen dann, wenn ich weiß, es wird wiederkehren. Dann ist es eine süße Sehnsucht. Ein sehnsuchtsvolles Ziehen im Herzen. Hin zu dem Anderen und gleichzeitig verbunden mit mir selbst. Das Vermissen ist die Wertschätzung und Anerkennung dessen, was fehlt. Ein Platz, der erst durch seine vorübergehende Leere, seine Abwesenheit an Bedeutung wächst. Da fehlt auf einmal das, was diesen Platz immer ausgefüllt hat. Schön. Ja, so ist das für mich.
Nach dem Retreat sinne ich nochmal darüber nach. Ja? Ist das so für mich? Finde ich Vermissen wirklich immer schön? Kenne ich das nicht auch anders? Und da fällt es mir wieder ein.
Ja, natürlich. Vermissen kann grausam sein! Meinen ersten, langjährigen Freund habe ich in der Schule kennengelernt. Meine erste große Liebe. Keine Schwärmerei, nicht aus der Ferne geliebt. Nein, wir haben viel miteinander erlebt. In jungen Jahren unsere Elternhäuser mit all ihren Aspekten kennengelernt, viel gelacht, viel entdeckt und gemeinsam geweint. Wir fühlen uns bis heute sehr verbunden. Auch über 1000 Kilometer hinweg. Ein großes Geschenk.
Nun gut, damals nach der Matura machten wir beide jeder für sich mit seinen Freunden eine Reise. Ich vier Wochen Interrail mit drei Mädels in Südeuropa. Mein Freund fuhr mit seinem Freund für zwei Wochen nach Südfrankreich. Unsere Reisen überschnitten sich dann noch zeitlich, so dass wir uns 6 (!) Wochen nicht sehen konnten. In meinen vier Wochen Interrail haben wir uns zweimal aus Telefonzellen gesprochen. Kurz und aufgeregt. Schnell und teuer. Das war der einzige Kontakt damals. Keine Handys. Zwei Wochen lang konnten wir uns gar nicht sprechen, als wir parallel unterwegs waren. Und – es – war – FURCHTBAR!
Es war kaum auszuhalten. Ich habe wahnsinnig gelitten in diesen Wochen. Ja, ich habe meinen Freund ganz elendig vermisst. Es fühlte sich wie ein riesiger Verlust an. Wie abgeschnitten, verloren. Die Interrailreise habe ich mehr oder weniger genossen. Naja, eigentlich weniger. Trotz bester Freunde! Es war zumindest eine gute Ablenkung. Viele Jahre später habe ich eine Kassette gefunden, auf der ich damals meine Empfindungen ausdrückte, als ich wieder zuhause war und mein Freund noch unterwegs. Unter Tränen versuchte ich auf dieser Aufnahme Worte für meinen Zustand, für mein Vermissen zu finden. Ich habe die Kassette nur kurz anhören können. Ich war von Scham überwältigt. Mein eigener, roher, blanker Ausdruck war mir selbst zuviel. Zu nah. Nicht auszuhalten.
“Iiiich mag Vermissen?” Ich muss etwas lachen bei der Erinnerung an den Sommer 1993 und meinem fröhlichen, lockeren Ausruf im Retreat 25 Jahre danach.
Vermissen war lange Zeit ein großer Schmerz. Doch ich frage mich, warum es mir heutzutage oftmals anders damit geht? Kann man Vermissen lernen?
Auch wenn Du nicht da bist, ich bin da. Auch wenn ich nicht da bin, bin ich da. Auch wenn Du nicht da bist, bist Du da. Also über Vertrauen in sich? Ins Leben, in den Anderen, in die Liebe? Ich weiß es nicht.
In sich zuhause sein. Einen sicheren Ort in sich kennenlernen und diesen mehr und mehr kultivieren. Und auch im Anderen einen Platz einnehmen. Selbstbewusst, mutig. Sich trauen, sich zumuten. Und die Liebe in den Dingen spüren. Die Verbindung zwischen zwei Menschen wahrnehmen. Jenseits von Zusammensein und intensivem Austausch. Vielleicht können wir die Energie des Vermissens lieben lernen. Die Kraft des Vermissens, die nach vorne zieht, in die Zukunft, in das Morgen. Die uns mobilisiert, weitertreibt und uns paradoxerweise wieder zu uns selbst zurückbringen kann.
Wo können wir uns selbst zuhause sein, wenn Vermissen in uns ist? Wie sieht die Selbstfürsorge in so einem Moment aus? Wärme, Ruhe, Wasser, Musik. Ein Duft. Ein gutes Essen. Ein warmes Getränk. Ein Telefonat oder eine Nachricht an einen vertrauten Menschen schicken, mit dem wir uns verbunden fühlen.
Wissen, es ist nicht schlimm so zu fühlen. Das ist das Leben. It’s part of the game. Und letzten Endes: auf einen schönen Morgen vertrauen…
Foto: Marlene Karpischek