Manchmal wird ein Sommer gar nicht zum Sommer. So wie sich ein Geburtstag auch mal überhaupt nicht nach Geburtstag anfühlen kann. Das ist dann schade. Denn wir haben uns ganz anderes erwartet. Und ein Stück unfair und ungerecht ist es auch. Denn es stand ja Geburtstag drauf. Oder eben Sommer.

Aber so ist es halt. Manchmal sind die Dinge nicht so, wie wir sie uns vorgestellt haben. Dieser Sommer war für mich nicht wirklich ein Sommer. Nicht das, was das Wort Sommer zu versprechen scheint. Nicht das, wonach das Wort Sommer für mich klingt. Sommer, Sommer, Sommer – in meinen Ohren klingt das nach Leichtigkeit, nach unbeschwertem Zusammensein, nach Eis, Liebe, Wärme, Zeitlosigkeit. Sollte ich ein Wort für diese Zeit finden, wäre das Axt. Oder vielleicht Teer, Haarausfall oder Schorf.

Doch gleichzeitig gibt es auch Momente, die genau so sind, wie wir sie uns vorstellten. Monate vorher, Wochen vorher haben wir uns eine Situation ausgemalt und tritt sie dann wirklich ein, stellt sich genau das Gefühl ein, das wir vorab schon spürten. Ich bin vor kurzem zum ersten Mal an das Grab meiner Patentante Alice zurückgekehrt. All die Wochen zwischen der Beerdigung Anfang Mai und dem Spätsommer habe ich mich danach gesehnt, diese 1000 Kilometer von Wien nach Hamburg auf den Ohlsdorfer Friedhof zu überbrücken, um nur für einen kurzen Moment an ihrem Grab stehen zu können. Um den neuen Grabstein zu sehen, um ihren Namen darauf zu lesen. Um für einen Moment wieder in die Stille, das gleichzeitige Vogelgezwitscher rund um das Grab, um in das Jetzt eintauchen zu können. Um mich für einen Moment, mit der Essenz des Lebens zu verbinden.

Und auch wenn der Sommer irgendwie überhaupt kein Sommer war, so war dieser Moment am Grab im August, genau der Moment am Grab, wie ich ihn mir so häufig in den Monaten davor vorgestellt habe. Pur und unmittelbar. Leicht und tief zugleich.

Ich war für ein paar Tage alleine in Hamburg. Es gab an diesem Tag Zeit in Hülle und Fülle. Es gab zwei Milchkaffees. Es gab einen Mittagsschlaf. Es gab einen Kuss. Es gab Sonne. Es gab Musik. Es gab eine rosa Rose. Es gab einen leeren Bus, der mich als alleinigen Passagier über den riesigen Friedhof fuhr.

Als ich aus kurzer Distanz den Grabstein erblicke, schießen mir Tränen in die Augen. Ich muss schwer schlucken. Doch dann stehe ich vorm Grab. Ich lege meine Rose nieder. Schaue zum ersten Mal den Grabstein an, lese ihren Namen. Die Daten auf dem schlichten Stein sehen schön aus. So rund, harmonisch, in sich geschlossen. Fast 90 Jahre alt ist sie geworden. Es wird still in mir. Ruhig und friedlich.

Und plötzlich bin ich auch versöhnt mit diesem Sommer.

Damit, dass dieser Sommer einfach kein Sommer war.